Rasterfahndung

Aus: Rasterfahndung. Von Thomas Bayrle. Hg. v. Klaus Gallwitz. Frankfurt a. M. 1981 (es 1069)

"Herzkanke haben eine gute Chance, auf den Körper-Raster zu kommen. Wenn man sich bückt und das Blut schießt in den Kopf, sieht man den Raster vor den Augen. Fast den gleichen, den man nachts sieht, wenn das Fernsehen abgeschaltet ist. Rasende, elektrische Massen von Punkten, die sich, um sich selbst drehend, in endlosen Pirouetten gegenseitig durchfluten. - Ein wahnsinniger elektrischer Wasserfall. -

Zeitung, Gedrucktes - ist eine Ansammlung von Milliarden Punkten und Strichen auf Papier. - Material, welches jeden Tag zu neuen Mustern zusammengetrieben wird. Dabei perpetuieren Punkte zu Gebringen von 'Schmidt-Mülldeponie-Krebs-Saddat-Haufen' heute und zu 'Iran-Begin-Ajatolla-Haufen' morgen. Ewig sich umwälzende Massen - ein Rasterbrei, fernstgesteuert, projiziert, von einem Klumpen zum anderen.

Milliarden dieser aggressiven Punkte werden täglich getrieben, belichtet, entwickelt, vergrößert, verkleinert. In Maschinen vom Laserstrahl abgetastet, abgefühlt, auf Lichtdurchlässigkeit geprüft. Eingeteilt in dick-schwarze und dünn-schwarze, in kleine und große, solche, die bleiben und solche, die verschwinden müssen. Sie verklumpen sich, addieren sich, wachsen, wuchern - vom winzigen Bestandteil einer Nase zum riesigen Punktekloß einer Supernase. Massen von eckigen Partikeln hämmern in Sexsymbolen, Schokoladenrippen, Autounfällen, Hungersnöten. - Schlagen ein, durchsieben alles, durchlöchern, durchschießen, durchrasen die Bilder, laden jede friedliche Blumenwiese elektrisch auf. 24 36 48 56 84 Punkte pro Quadratzentimeter, immer dichter, immer konzentrierter ballen sie sich zusammen und bilden so das Plankton der Tageszeitung."

Bayrle, Juni 80

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