Perfektionierte Kreisläufe - General Guderian fährt mit

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Merke: "Von den Wirkungen der neuzeitlichen Verkehrsentwicklung auf die Kriegsführung ist die grundlegende die, daß der Verkehr allgemein die Kraft der Völker und Staaten stärkt." Blum: Das neuzeitliche Verkehrswesen im Dienste der Kriegsführung. In: Jahrbuch für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft, 1939, S.76. Doch nicht nur Fließbandproduktion und Designer-News erobern für das Auto den öffentlichen Raum. Der I. Weltkrieg bringt es ans Licht der Westfront: Wer nicht in Gräben verbluten will, muß Mobilität und Geschwindigkeit aufrüsten.
Im September 1914, knapp drei Monate nachdem der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau in einem offenen Wagen erschossen worden waren, schaffen sämtliche requirierten Taxis von Paris rund 4000 Mann an die nahe Front. General Galliéni stellt mit den Marne-Taxis die erste motorisierte Division der Weltgeschichte auf.
Die erste Autobahn.

Friedrich A. Kittler: auto bahnen. In: KultuRRevolution. 1984, S.45

Was sagt Schiller?

Wichtiger aber noch als diese schnelle Verbindung zwischen Krieg und Heimat ist die Automobilmachung vor Verdun, zwei Jahre später. Auf 45 Nationalstraßenkilometern zwischen Bar-le-Duc und Verdun betreiben General Raguenau und Major Doumenc die erste Autobahn, indem die Straße strikt "zweigleisig" befahren wird:

"fortan trennt ein improvisierter mittelstreifen materialschlachtinput und materialschlachtoutput [...] räder rollten also für den sieg - rechts, von bar-le-duc nach verdun: kanonen und kanonenfutter, links, von verdun nach bar-le-duc: kanonenschrott und kanonenopfer."

Ein weiterer Kreislauf ist geschlossen. Kein stop and go mehr für Nachschubzwecke, sondern wie in Schillers Ideal einer auto-mobilen Gesellschaft fügt sich staufrei eins ins andere.
"Beteiligung des ganzen Volkes an der Motorisierung." Adolf Hitler, Rede zur Eröffnung der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung. In: Kräfte sammeln, Kräfte lenken, Kräfte sparen. Drei Reden. Hg. v. Reichsverband der Automobilindustrie. Berlin 1939.

So der zeitgenössische Chronist Wilhelm Bade: Das Auto erobert die Welt. Berlin 1938, S.309.

Nicht nur der Gefreite Adolf Hitler zieht aus solchen Historien Lehren für die Heimatfront. Heinz Guderian, 1914 an der Marne und 1916 als Funkoffizier vor Verdun, organisiert bereits im Winter 1923/24 einen Manöverblitzkrieg mit PKW und aufgeklebten Papptürmen. Auch am 11. Februar 1933 ist Guderian dabei, als Hitler, knapp zwei Wochen nach der Machtergreifung, die Internationale Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin eröffnet.
Der Panzergeneral in spe bekommt Erfreuliches zu hören, das als Ansprache an die Öffentlichkeit getarnt ist. In seiner Rede bestimmt Hitler die Grundlinien deutscher Massenmobilisierung: Steuererlässe für Automobilkäufer, Bau von Autobahnen, Wegfall der Fahrschul-Pflicht, Förderung des Rennsports und schließlich die Produktion eines Volkswagens. Hitler weiß, wovon er spricht, denn er gibt sich die Pose eines neuen Über-Fahrers: "Er, der Hundertausende von Kilometern im Wagen zurückgelegt hatte, von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt, der jede große Straße des Reiches kannte, sie gefahren war bei Sonnenschein und Regen, Tag und Nacht..." Und er weiß, was er will: Automobilisierung von Volk und "Lebensräumen".
H. Guderian: Mit der Panzerwaffe auf der Straße des Sieges. In: Die Straße 23/24, 1940. Der Bau der Autobahnen soll den Weg der deutschen Volksgenossen zur klassenfreien Mobilität erschließen und gibt doch nur ein Exempel faschistischer Ausbeutung ab. Was der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Dr. Fritz Todt, und die Deutsche Arbeitsfront (DAF) auf Autobahnbaustellen lernen, wird ihnen beim Westwall nur nützlich gewesen sein.
General Guderian weiß es zu danken: "Wir haben die Segnungen der Reichsautobahn schon auf dem Befreiungsmarsch nach Wien und dann beim Aufmarsch in das Sudetenland, beim Anmarsch gegen die Tschechoslowakei, gegen Polen und gegen die Westmächte genossen. Welch eine Freude, innerhalb des Reichsgebietes zu marschieren." Noch im März 1945 wird SS-Gruppenführer Dr. Hans Kammler mit mobilen V2-Startrampen die logistischen Vorteile der Autobahn nutzen können.
W. Bade: Das Auto erobert die Welt, S.317. Doch die Autostraßen sollen auch Symbol sein. Nach Marinettis Geschwindigkeitseuphorie und Gropius' Logik der Funktionen sind nun die Straßen selbst Kunst und Funktion der Schönheit. Den Apologeten des Hakenkreuzes zufolge besitzen Hitlers Autobahnen einen ästhetischen Mehrwert. Noch vor dem Trauma des Krieges formuliert Bade: "Aber sie [die Autobahnen] sollen noch mehr sein als die großzügigsten, besten, gefahrlosesten, schnellsten, modernsten Verkehrsstraßen der Erde - sie sollen auch der Welt schönste Straßen sein [...] . Nicht Straßen sollen entstehen, sondern Kunstwerke. [...] So will es der Führer. Zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit erhebt er die Straße aus den Bereichen des naturhaften Pfades und des künstlichen Wegebaus in die edleren Sphären der Kunst."
W. Bade: Das Auto erobert die Welt, S.311. In der Tat stellen die gebauten 3.500 von 6.500 geplanten Autobahnkilometer keine bauhausgeraden Vektoren dar, sondern sanft geschwungene, über aussichtsreiche Hügel führende Linien, die zuerst "neue Lebensräume" und später neue Urlaubsländer erschließen. Doch was sind Straßen ohne Autos, Panzer und Raketenabschußrampen?
Hitlers zweites Großprojekt widmet sich dem Vehikel, das die "Herrenrasse" mobil machen soll. Die Deportation der sogenannten "Untermenschen" beginnt mit der Geschwindigkeitsinternierung der Eisenbahn. Nicht ohne Grund stellt - nach Bade - die Wahl der Transportmittel eine "im tiefsten Grunde ethische Frage, indem der eigene Wagen den Menschen wieder unabhängig und frei zu machen vermochte von der kollektivistischen Zwangsbeförderung durch die Eisenbahn [...]."
Nach Paul Kluke: Hitler und das Volkswagenwerk. In: Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte, H.4, 1960. "Kraft durch Freude" statt Kollektivismus. Nachdem Ferdinand Porsche den "KdF"-Wagen produktionsfertig entwickelt hat, beginnt eine Mobilmachung der anderen Art. Mit besonderen Sparverträgen akquirieren die Nationalsozialisten in der Bevölkerung bis 1938 rund 280 Millionen Reichsmark. Die Propaganda-Kollekte finanziert den Bau des "Kraft durch Freude"-Werkes in Wolfsburg. Hitler selbst nimmt 1938 die Grundsteinlegung vor. Bei der Restausführung kommt erneut die DAF zum Einsatz.
Doch von den Sparern wird kein einziger einen Volkswagen zu Gesicht bekommen. Der Slogan "Fünf Mark muß du sparen - willst du einen Volkswagen fahren" ist Werbung. Sie hält etwas anderes, als sie verspricht. Bis 1945 laufen fast 70.000 Kübelwagen vom Band, die deutsche Soldaten an allen Fronten zu neuer Landnahme fahren. Bereits 1934 aber geht in das Protokoll einer Sitzung des VW-Projektes folgendes Anforderungsprofil ein: "Die Reichswehr verlangt einen Wagentyp, der u.a. Platz für drei Mann und ein schweres Maschinengewehr bietet."
Die Propaganda-Version des KdF-Wagens ist eine simple Nazi-Transkription des Fordismus. Der "Völkische Beobachter" vom 18. 2. 1939 raisonniert zur Absatzpolitik, "daß jeder fleißige deutsche Arbeiter die Möglichkeit haben muß, einen Volkswagen zu erstehen und in Betrieb zu halten." Das Volkswagen-Werk, dieses "Olympia der Arbeit", wie DAF-Führer Ley schwärmt, erhält modernste Fließbandtechnik. Hitler fragt das notwendige Know-how bei der deutschen Automobilindustrie ab. Mercedes-Chef Werlin, Ferdinand Porsche sowie bis 1939 mitunter der Präsident der Auslandsvertretung von General Motors, Mooney, sind Adjutanten der Automobilmachung.
So James Flink, zitiert in: Autokultur USA, Köln 1978, S.6.

Friedrich A. Kittler: auto bahnen.

Faschistische Volksgenossenschaft aber scheint in Europa Voraussetzung für Volkswagen zu sein. In Frankreich, wo André Citroen seit 1922 an kleinen Autos in großen Stückzahlen laboriert, bleiben die Pläne für den 2 CV 1937/38 liegen. Demokratische Volksfront und Zweiter Weltkrieg verhindern die Serienproduktion des französischen Käfers, der erst 1948 vom Band laufen wird. Italiens Duce kommt mit dem Fiat Toppolino von 1936 schon einen Schritt weiter. Wolfsburg kann die Aufgabe ab 1940 erfüllen.
Die Kreisläufe perfektionieren sich. 1942 wird die US-Automobilindustrie ihre Produktion auf Rüstungsmaterialien umstellen. Entscheidendes Argument ist wieder die Logik der Funktionen: "Die Automobilindustrie besaß das beste Know-how bezüglich akkurater und verläßlicher Herstellung einer größtmöglichen Anzahl von Dingen bei geringstem Zeitaufwand." Neueinsteiger wie Preston Tucker können ihre Fabriken dann wieder aus dem Bestand der us-amerikanischen "Rüstungsgüterverwaltungsbehörde" erwerben.
Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg - Massenmotorisierung und Terror durch Tourismus - läßt in dieser Hinsicht nur eine Konsequenz zu: "Friede ist die Fortsetzung des Krieges mit denselben Verkehrsmitteln."

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© Matthias Bickenbach, Michael Stolzke, Bonn 1996