Liebe zum Objekt - ein Schnappschuß

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Thomas Pynchon: V. Reinbek 1986, S.21.

"Liebe zu einem Objekt, das war ihm neu. Als er nicht lange danach dieselbe Sache bei Rachel und ihrem MG entdeckte, begriff er zum ersten Male, daß insgeheim etwas im Gange war, und vielleicht hatte es schon länger gedauert, vielleicht waren mehr Leute in die Sache verwickelt, als er sich überhaupt vorstellen konnte."

Was Benny Profane, eine der Personen in Pynchons Roman "V", anhand der Beziehung zum Objekt Automobil zu begreifen beginnt, ist für die Industrie eine Produktstrategie. Nachdem General Motors Chef Sloan die jährlichen Modellwechsel des Objekts Auto eingeführt hat, funktioniert die Identifizierung der Individuen mit Design- und Zubehörvariationen. Nach der Stromlinienform beginnt der Mythos der Erotik, die Wagen zu erobern.
Nach ihrem mißlungenen Selbstmordversuch stirbt Isodora Duncan wenig später am 19.9. 1927 in einem geliehenen Bugatti. Man kann über die psychologischen Komponenten von Geschwindigkeit, Macht und Erotik spekulieren. Fakt bleibt die Marktstrategie einer Analogie von Wagenform und Frau. Ende der zwanziger Jahre rückt die Frau als Werbefigur in die Automobilpräsentation ein. Der Erotik der Kurven tun Unfälle - wie jener der Isodora Duncan, die von ihrem in die Speichenräder geratenen Schal erdrosselt wird - keinen Abbruch.
Wie schon andere Symbolismen der Maschine gewinnt auch die Erotik des Automobils ein Eigenleben und steuert fortan Wahrnehmung und Verhalten der Menschen.

"Ihr MG war die Ursache, daß er sie kennenlernte, und jeder andere hatte sie auf dieselbe Art kennengelernt. Der MG hätte ihn fast überfahren."

Die Dreiecksgeschichte von Benny Profane, Rachel und ihrem MG ist keine Erfindung dichterischer Phantasie. Sie ist eine Erzählung von Effekten der Kopplung von Mensch und Maschine. Effekte des Automobils, die nicht einfach als "Kollektivsymbolik" in einen "Interdiskurs" (J. Link) übergehen, sondern ein Eigenleben gewinnen, indem sie auf die Liebenden zurückschlagen. Die Zärtlichkeit und Innigkeit der Liebe zum Objekt wird zum Maßstab für jede Beziehung. Den Körper des Wagens, seine ihm zugeschriebene Eleganz und Willigkeit, kann kein biologischer Körper von Mann oder Frau erreichen. Wenn Automobile zur Initialzündung für eine Beziehung werden können, dann ist es bis zur Liebe zum Automobil nicht weit.
Arnolt Bronnen: Der Autodieb. Eine Geschichte (1931). In: ders.: Kleine Schriften.
Umgekehrt kann dafür der Körper des Opfers zum Mythos werden:

James Dean.

Ein junger Mann verliert seine Arbeit. Er findet sich vor einem Automobil wieder, das sein Besitzer waschen will. In der Hoffnung Lohn zu erhalten, übernimmt er die pflegende Arbeit. Aber er wird betrogen. Der Betrug resultiert weniger aus dem vorenthaltenen Lohn, als aus dem Entzug des Automobils, das eben noch Objekt zärtlicher Berührung war. Die rituelle Waschung und Pflege des Automobils stellt nichts weniger als die Initiation von Intimität dar. Ihr Entzug durch die schnöde Macht des Besitzes weckt Rachegelüste. Karls Begehren steht fest:

"So drinsitzen, glatt und gleißend wie jener, und dann dieses glatte und gleißende Ding in Scherben fahren, in Schutt und Dreck: das wollte er, daß mußte er tun; eher nicht war seine Schmach gesühnt."

Der Lehrling Karl, von dem Arnolt Bronnens Geschichte erzählt, hat einen langen Weg vor sich. Zwar will er den Wagen entwenden, aber er kann nicht autofahren. So beginnt er in einer Autowäscherei zu arbeiten, zu deren Kunden auch jener feine Herr zählt. Langsam arbeitet er sich nach oben, lernt Pflege und Führung der Mobile. Als der feine Herr ihn wiedererkennt, verliert er zum zweitenmal seine Arbeit. Aber Karl weiß, wo die Schlüssel aufbewahrt werden.

"Es war eine herrliche Fahrt, und Karl genoß wie im Rausch alle Tugenden seines Wagens. Niemals, so fühlte er, mochte der so gefahren sein; und seine Lust, gefahren zu werden, übertrug sich auf Karl, so daß er trotz seiner geringen Fahrkenntnisse die Strecke schaffte wie ein alter Rennfahrer. Auf hundertfünfzig, auf hundertachtzig Kilometer stieg das Tachometer. Die Kurven verschlangen ihn dröhnend, die Bäume umtobten ihn, der Regen prasselte dazwischen, und ein merkwürdiger Zufall behütete das Gefährt, das sonst vielleicht schon zu dutzenden Malen geglitten und zerschleudert wäre."

Den Rausch der Geschwindigkeit geborgen im trockenen warmen Gefährt erleben, das ist eine innige Beziehung. Zumal diese Geliebte dem Fahrer Ausdruck seines Wollens ist. Objekt und Begehren werden eins. Das Mittel, die Geschwindigkeit zu erreichen, wird zum Partner, mit dem man den lustvollen Rausch erlebt: "seine Lust, gefahren zu werden, übertrug sich auf Karl". Und nur Fortuna verhütet, so heißt es, den allzu wahrscheinlichen Unfall. Aber dem Liebhaber wird klar, daß Objekt und Besitz getrennt bleiben.

"Er fühlte, er würde diese Geliebte nicht halten, nicht behalten können. Er würde sie sonst wieder dem sportlichen Herrn zurückgeben müssen, und der würde die Lüste und Aengste dieser Fahrt kaum bemerken. Das Medium seiner Lust darf nicht wieder einem anderen mit gleichen Gelüsten gehören: Er wollte Rache. Er wollte mehr: er wollte der letzte sein, der diese, seine Geliebte, gefahren hatte."

So erscheint der Unfall als die einzige Rettung der Beziehung.

"Er fuhr an einen Abhang, öffnete die Türen, zwängte sich halb hinaus, riß dann den Gashebel auf und sprang ab. Mit fauchendem Gedröhn sprang der Wagen quer über den Weg, pfiff über den Abhang, krachte gegen die Bäume. Die Aeste splitterten, und ein ferner Donner gab dazu ein melancholisches Gestöhn. Dann stand der Wagen zitternd da, mit leeren, ausgebrochenen Scheiben, mit glucksend verrinnendem Benzin. Eine Auto-Leiche."

Doch die Geschichte ist nicht zu Ende. Auch Leichen kann man lieben. Selbst das Objekt, das von seinen Funktionen und Mythen gewaltsam getrennt wurde, der Schrott, ist noch ein Körper. Karl vollzieht den letzten Liebesakt als Nekrophilie:

"Karl schlich sich hinzu und betastete noch einmal die Glätte, die jetzt zersprungen, und die geschwungene Form, die jetzt so zerbeult war. Er dachte noch einmal an den fauchenden Atem, der ihn berauscht hatte, an den Duft des Leders und des Benzins und an die untergehende Sonne [...]. Dies alles empfand er mit klopfendem Herzen. Dann machte er sich daran, die noch sehr neuen Reifen abzunehmen und das Leder von den Sitzen zu schälen."

Erst jetzt ist das Mobil Schrott, entkleidet vom luxuriösen Zubehör der Ledersitze und Weißbandreifen und von allen Mythen. Erst jetzt kann das Begehren sich vom Objekt trennen. Dabei wird offenbar, welcher Art die Individualität der Geliebten war:

"Schwer beladen dreht er schließlich seiner Geliebten den Rücken. Das letzte, was er von ihr sah, war das Nummernschild, dessen Licht seltsamerweise noch funktionierte: ein letzter Gruß von I A 30944, dessen Skelett zwischen den Bäumen des Grunewalds lag."

Nach der Schändung ist der Schrott von seinem Mythos, von Begehren und Erotik befreit. Er wird zu einem obszönen Körper, der keine Bedeutung mehr hat, als die amtlicher Registrierung.

Vorschau Unfallwagen

Schrott als obszöner Körper

Vgl.: Jean Baudrillard in: Kamper/ Wulff (Hg.): Die Wiederkehr des Körpers. 1982, S.359ff.

Photos von Unfallautos wiederholen dieses Trauma einer wörtlichen Individualisierung, die mit den gesellschaftlichen Mythen bricht. Sie wiederholen die ästhetische Faszination eines obszönen Körpers. Nach Baudrillard bedeuten diese nichts mehr, als sich selbst:
abgeschnittene Stücke, Schrott. Der obszöne Körper ist der Körper hinter der kulturellen Szene, der nur noch er selbst ist: "geklont, indifferent unausstellbar, aber wuchernd wie Krebs." Die kulturelle Katastrophe des Unfalls ist die Umkehrung des symbolischen in einen obszönen Körper. Das erklärt auch die eigentümliche Lust der Betrachtung solcher Bilder.
Negative Lust und das Erhabene.
Vgl. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, §23 und §28.
Die Wirkung auf den Betrachter ist eine Mischung aus Voyeurismus und Abscheu. Sie läßt "Gaffer" entstehen. Diese "negative Lust" kennzeichnet eine zentrale ästhetische Kategorie: das Erhabene. Die Betrachtung von Objekten, die nicht der menschlichen Sphäre entstammen, von Dingen, die sich nicht mehr anthropologisieren lassen, wird in der Ästhetik Kants zu einer eigenartig produktiven Kategorie. Während das Schöne "directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich führt", erhöhe die "negative Lust" am Erhabenen die Seelenstärke, weil sie Mut mache, "uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können."
Vielleicht kann man daher dem Wiedersehen von Unfällen therapeutische Wirkung zuschreiben. Es ist die Begegnung mit einem Erlebten oder zumindest kollektiv Repräsentierten, das niemand hat wahrnehmen können. Also ist die Wiederholung des Traumas, bekannte Psycho-Technik Freuds, lehrreich. Eine Meldung der Associated Press aus Santa Monica vom 9. August 1962 berichtet von einem staatlichen Experiment:
Unfallbilder als Sühne: Der Film "Signal 30".

"Fast 100 Verkehrssünder sahen heute einen von der Polizei gezeigten Film mit Verkehrsunfällen, um für ihre Vergehen zu büßen. 2 mußten wegen Übelwerdens und Schockwirkung behandelt werden [...]. Man bot den Zuschauern eine Herabsetzung ihrer Strafe um 5 Dollar, wenn sie sich bereit erklärten, den von der Polizei des Staates Ohio hergestellten Film 'Signal 30' anzusehen. Er zeigte verbogene Wrackteile und verstümmelte Leichen, und die Bilder waren von Schreien der Opfer des Unfalls begleitet."

Th. Pynchon: V, S.26f.

Die Geschlechterverteilung von männlicher Lust und kurvenreich weiblichem Gefährt aber ist ein Mythos der Automobilgeschichte, in dem die Liebe zum Objekt nicht aufgeht. Das Automobil kann sehr wohl auch der Frau das Objekt des Begehrens, den Geliebten, vorstellen. Benny Profane wird in jenem Sommer 1956 in New York, in dem er viele Tage mit Rachel in ihrem MG verbringt, zum Voyeur ihrer eigentlichen Liebe:

"'Du bist ein hübscher Kerl', hörte er sie sagen, 'Es ist so schön, dich zu berühren.' 'Hallo!' dachte er. 'Weißt du, was ich fühle, wenn wir auf der Straße sind? Ganz allein? Nur wir zwei?' Zärtlich wischte sie mit dem Schwamm über die vordere Stoßstange. 'Deine lustigen Antworten, Liebster, die ich so gut kenne. Die Art, wie du beim Bremsen ein wenig nach links ausbrichst, oder wie du bei fünftausend Touren anfängst zu zittern, als wärest du erregt. Und du frißt zuviel Öl, wenn du auf mich böse bist, ich weiß es doch.' [...] 'Wir wollen immer zusammenbleiben' - sie fuhr mit dem Leder über die Kühlerhaube -, 'und du brauchst dich nicht über den schwarzen Buick zu ärgern, den wir heute auf der Straße überholt haben.' [...] Sie war jetzt in den Wagen geklettert und hatte sich auf dem Fahrersitz zurückgelehnt, ihre Kehle den sommerlichen Sternen zugewandt. Er wollte gerade zu ihr gehen, als er sah, wie ihre blasse Hand den Schalthebel streichelte. Er sah ihr zu, beobachtete, wie sie ihn behandelte."

Die weibliche Sexualität findet im Streicheln des phallischen Schalthebels nur die Zutat einer Beziehung, die auf Zärtlichkeit, Treue und Ewigkeit angelegt ist. Das unterscheidet sich stark von männlichen Besitzansprüchen und Sexualität. Aber auch von der simulierten Homosexualität zwischen Mann und Auto. Pynchon läßt es sich nicht nehmen, auch diese Geschichte zu erzählen. Die Zeremonie der Waschung spielt auch hier wieder eine tragende Rolle:
Th. Pynchon: Vineland. Reinbek 1993, S.289.

"Rex hatte früher einen Porsche besessen, rot wie eine Cocktailkirsche, sein Lieblingsspielzeug, seine liebste Verkleidung, sein intimer Vertrauter und eigentlich alles, was ein Auto für einen Mann sein kann, und man konnte sagen, daß Rex nicht nur Geld investiert hatte, sondern auch beträchtliche Emotionen - ja, er wäre vor dem Wort 'Beziehung' nicht zurückgezuckt. Er nannte ihn Bruno. Er kannte jede durchgehend geöffnete Waschanlage in den vier Counties, er hatte, als Kopfkissen einen Werkzeugkasten aus Plastik, auf dem Notsitz die ganze Nacht bis zum Morgen geschlafen, geborgen in der Kühle von Brunos Bauch, und er hatte, während der Motor im Leerlauf lief, mehr als einmal in nach Mineralöl duftendem Zwielicht sein pochendes Glied in einen der kelchförmigen, verchromten Ansaugstutzen gesteckt und dann mit Fingerspitzengefühl die Drehzahl gesteigert und das pulsierende Saugen seinem eigenem, immer schnelleren Rhythmus angeglichen, bis Mann und Maschine bis dahin unvorstellbare Gipfel der Ekstase erreichten..."

Vgl. FAZ vom 14.3. 1994, S.9. "Autos zum Lieben" (Renault) oder "Haben Sie den Mut zu einer neuen Beziehung" (Rover) plakatieren in unseren Tagen Autohersteller in die Öffentlichkeit. Aber nicht nur das. 50.000 Liebesbriefe erreichten auf rosafarbenen Papier ihre Adressatinnen zwischen 20 und 28 Jahren. Ein stiller Liebhaber lädt sie zu "einem kleinen Abenteuer" ein, nachdem "wir uns gestern wieder auf der Straße begegnet sind und ich gespürt habe, wie Du interessiert zu mir herübergeschaut hast." Ein später zugestellter Brief gibt den Verehrer als den neuen Fiat "Cinquecento" zu erkennen. So geschehen im Frühling des Jahres 1994 in Spanien. Nach Berichten von "El Pais" waren Panik, Angstzustände, Eifersuchtsszenen und schließlich Proteste die Folgen. "Wir dachten, es sei eine sympathische Kampagne, die sich an unabhängige, moderne und berufstätige Frauen richtet", sagte ein Fiat-Sprecher.

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© Matthias Bickenbach, Michael Stolzke, Bonn 1996