Vom Un-Fall der Sprache

Leitseite · Inhaltsübersicht · Autoren und Operatoren · Abstract · Motto

Kreisläufe. Wenn metabolische Geschwindigkeiten sich durch segmentierte Landschaften bahnen und Effekte in Gehirne und Körper einschreiben, wenn Großcomputer Intrusionswiderstände simulieren, deren Datenfolge den Reality-Crashs in Echtzeit extrapoliert wurde, wenn gegen Geld eingetauschtes Automobildesign in Sekundenschnelle zur absurden Deformation des Versicherungswertes Totalschaden wird, dann schließen sich die Kreisläufe der Geschwindigkeitsfabrik. Das ist Recycling in einer Kultur der Funktionen, deren Leitfossil das Auto ist.
Unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität lassen sich diese Kreisläufe auf zwei universale Äquivalente reduzieren: Geld und Information. Kenngrößen, welche die Traumata der Geschwindigkeitsfabrik als kulturgeschichtliche Arbeit fixieren. Inkommensurable Größen aber, wenn es um das menschliche Wahrnehmungsvermögen geht. Denn Daten und Schrott entziehen sich schlichtweg dem menschlichen Verstehen.
Aber es geht auch anders. Ein weiterer Kreislauf zeigt sich der Kultur des Abendlandes versöhnlicher, indem er auf Schrift und die dadurch möglichen Sinnstiftungsprozesse zurückgreift. Fraglich, ob dadurch ein Verständnis der Geschwindigkeitsfabrik erreicht wird. Unzweifelhaft aber, daß wir alle - sogar dieses Buch - daran glauben müssen, wenn Verstehen mitteilbar bleiben soll.
Werbung & Unfallmeldung

Vgl. Nachher/ Vorher: Die Logik des Unfalls.

Unscheinbar sind die Texte, die an der Peripherie der Geschwindigkeitsfabrik entstehen, da sie deren essentiellen Werte und Funktionen nur repräsentieren, nicht aber exekutieren können. Werbetexte und Bildunterschriften der Unfallphotos beschreiben die beiden Informationszustände der Geschwindigkeitsfabrik, die das simple Spiel des Vorher und Nachher konjugieren.
Die angepriesenen Potenzen der Autos aus den Texten der Anzeigen finden in den kurzen Zeilen zum Unfallgeschehen ihren nüchternen Kommentar. Auch das versprochene Glück der Automobile ist nur das, was der Unfall ist. Jenseits der stilistischen Diskrepanz zwischen Werbetext und Bildunterschrift verbindet die beiden die Umkehrung von Ursache und Folge. Erneut wird die eigene Logik des Unfalls manifest, die als Futur antèrieur das Produktversprechen dem empirischen Bericht zuordnet.
Was sich der Hermeneutik der Texte als Bergung eines Sinnes entzieht, findet in den Aufräumarbeiten der Abschleppdienste und Bergungsfahrzeuge sein reales Gegenüber. Mit der Deformation des Schrotts führt die Geschwindigkeitsfabrik ihre letztgültige Referenz ein. Aber hermeneutische Zirkel einerseits sowie Material- und Datenkreisläufe andererseits sind nicht kompatibel.
Kombinatorik der Werbetexte

Porsche: 911 Turbo, 1995.

Daher darf es aufmerksame Leser nicht verwundern, daß die Variationen schnell ausgezählt sind. Die thematische Bandbreite der Anzeigentexte ist von Beginn an stark begrenzt. Konstitutive Figuren dieser Texte sind die metonymische Ersetzung und der Cluster. Allradantrieb wird zur Individualität, Geschwindigkeit zum sportlichen Charakterzug eines Fahrers. Technische Fakten und Kollektivsymbole werden zusammengefüg und ihre mitunter willkürliche Komposition generiert eine Bedeutung, die Sinn macht, aber keine Wirklichkeit abbildet.

"Der 911 Turbo ist von Motorsport-Enthusiasten geplant, entwickelt, gebaut. [...] Wir sind stolz auf ein Leistungsgewicht von rund 5,0 kg/kW. Wir sind stolz auf maximales Drehmoment von 540 Nm bei 4.500 Umdrehungen. Wir haben entschieden, daß der neue 911 Turbo für jeden Fahrer der perfekte Ausdruck von persönlicher Freiheit sein soll. Sein Ausdruck von Individualität, von Technik und - von Leistung."

Die technischen Argumente behaupten neben ihrer - eben nicht kommensurablen - Verständlichkeit einen symbolischen Aussagewert, der 408 PS in das Versprechen individueller Freiheit überführt und einen Durchschnittsverbrauch von 8,2 Litern bei 90 km/h als Beleg vorbildlichen, umweltbewußten Verhaltens reklamiert.
Michael Freiherr von Pidoll: Der heutige Automobilismus. Wien 1912

Vgl. oben "Signal 30".

Alle Anzeigentexte operieren im Modus des Versprechens und des Behauptens. Das markiert ihre explizite Sprachlichkeit oder Fiktionalität. Tote und Schrottruinen am Fahrbahnrand aber tragen einen Erklärungsnotstand vor. Das Stilprinzip des Rekords leitet zur Exaktheit der Statistiken über. Zumindest geht es um die res facta, wird Sprache eingesetzt, um Wahrnehmbares festzuhalten, aufzubewahren, zu erklären. Auf den ersten Blick scheinen damit die Bilder in den Zeitungen und ihre erklärenden Unterschriften der Fiktionalität keinen Raum mehr zu lassen. Aber das Gebot der Verständlichkeit überfährt die Sprache ein zweites Mal. Topoi bilden sich aus, die Menschen verstehen lassen, was Maschinen zum Programm erhoben haben.

"Drei schwer Verletzte. Ein Student fährt (am 16. Dezember 1910) mit zwei Damen und einem Herrn von Wien zum Semmering. In der Neunkirchner Allee schaltet er eine Geschwindigkeit von über 60 Kilometer in der Stunde ein. Der Wagen begann zu schleudern und wurde plötzlich, nachdem er eben an dem auf der Straße stehenden zweiten Wegeinräumerhaus vorbeigefahren war, in einem großen Bogen geworfen, so daß er auf das Bankett kam. Dort grub sich das rechte Hinterrad tief in den Erdboden und riß diesen auf. Fast gleichzeitig überschlug sich das Automobil zweimal in seiner Längsachse. Der Wagen blieb dann beschädigt am Straßenrande, an einem Baum gelehnt, stehen. Die Insassen des Automobils, die herausgeschleudert wurden, lagen verletzt am Straßenrande. [...] Nach der Aussage des verunglückten Passagiers ist jedoch das Automobil bis Traiskirchen im Tempo von 60, später von ungefähr 70 Kilometer per Stunde gefahren! Noch vor dem Unglücke ist das Automobil zweimal auf die entgegengesetzte Seite geschleudert worden. (Morgenblatt vom 26. April und vom 4. Juli 1912, Gerichtsverhandlung.)"

Pidoll glaubt an die sprachlich vermittelbare Abschreckung. Seiner "schauerlichen Chronik" von "Unglücksfällen" aus dem Jahre 1912 sind bereits all jene Topoi zu entnehmen, die noch heute in den Bildunterschriften Verwendung finden. Daß Chroniken aber tatsächlich geschaut werden müssen, um schauerlich zu sein, belegt das staatliche Filmexperiment in Kalifornien aus dem Jahr 1962.
Da Pidolls schriftstellerisches Talent die Unfallphotos noch simulieren muß, tritt in seinen Rekorden ein erzählerischer Ton hervor. Die Meldungen mit ihren topographischen Einzelheiten, der mühevollen Umschreibung der Gewalt des Unfalls, wollen immer noch Novellen sein. Doch die Moral von der Geschicht ist und bleibt die simple Aufzählung der Opfer - Unfallberichterstattung kann nicht erzählen.
Kombinatorik der Unfallnachrichten Heute beschränken sich die Bildunterschriften auf zwei Beschreibungskategorien: Unfallursache und Unfallwirkung auf Mensch und Maschine. Autos, so ist nachzulesen, "kommen von der Straße ab", "geraten ins Schleudern", "werden erfaßt" oder "stoßen zusammen". "Überhöhte Geschwindigkeit" oder "Alkohol am Steuer" lassen "die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren".
Das Ergebnis dagegen kennt weniger Variationen und gerade deshalb verwundert die stilistische Mühe, die auf die Darstellung verwendet wird.
Menschen erleiden "leichte", "schwere" oder "lebensgefährliche Verletzungen". Und nur der Exitus der Opfer differenziert genauer, nüchtern und zynisch: Ob "ohne jede Überlebenschance", "nur noch tot", "sofort" oder "auf der Stelle tot", ob "in den Tot gerast", "überrollt" oder "sofort getötet", der Statistik ist es einerlei. Auch die Deformationen des Fahrzeugs sind in dieser Hinsicht nur Stilübung. "Serienunfälle" und "Massenkarambolage" lassen Autokadaver zurück: "nur noch Schrott", "völlig zerstört", "nur noch Schrottwert", in "zwei", "drei" oder "mehrere Teile zerrissen", "in der Mitte auseinandergerissen", "völlig demoliert", "völlig ausgebrannt" und als "Wrack" bleiben die Signifikanten des Unfalls zurück.
Ein Raster sprachlicher Formeln entsteht, ein journalistischer Setzkasten, dem erlaubt ist, jeden künftigen Unfall durch die Kombinatorik seiner Elemente schon beschrieben zu haben. Die schnelle Erklärung kultiviert eine immergleiche Typologie der Sätze, die das Ergebnis vorwegnimmt: "nur noch tot", "nur noch Schrott". Der Einmaligkeit des Ereignisses Unfall, seiner individuellen Genese wird keine Kurzmeldung gerecht. Sprache kann nicht leisten, was Großrechner rekonstruieren können. Und das durchgehende Präteritum verrät, daß mit der Plötzlichkeit und Unvorhersehbarkeit des Unfalls kein Beobachten mehr möglich ist. Wie gesagt: "Schon einen Augenblick vorher war etwas aus der Reihe gesprungen."
Dieser "Augenblick vorher"
beruft sich auf einen Zustand, der noch als Normalität gelten konnte. Sein Geschehen folgt paßgenau der Funktionalität der Maschine und verspricht einen symbolischen Mehrwert. Seit über 100 Jahren bleiben die technischen und symbolischen Argumente der Automobilwerbung konstant. Ihre jeweils als Gegenwart suggerierte Normalität trägt aber bereits die Spuren des Unfalls in sich. Immer wenn Sicherheit und Geschwindigkeit, Eleganz und Komfort beschworen werden, stehen Ereignisse, wie sie Pidoll beschreibt, im Hintergrund.
"Bequem und absolut gefahrlos", "Lenken, Halten und Bremsen leichter und sicherer als bei gewöhnlichen Fuhrwerken", verspricht die Anzeige für den Benz Patent-Motorwagen von 1888. Zudem beanspruche das Automobil nur "sehr geringe Betriebskosten" und sei deshalb ein "vollständiger Ersatz für Wagen mit Pferden". Damit sind bereits in der ersten Anzeige der deutschen Automobilgeschichte fast alle Argumente aufgeführt. Es folgen die Versprechen von Eleganz, Chic und Komfort, ihre Variationen als Luxus oder Sport und schließlich, Ende der 70er Jahre, das Argument der "Umweltverträglichkeit".
Jedes dieser Argumente kennt seine Konjunkturen. Eleganz, Luxus und repräsentativer Status der großen Karossen fallen in den 20er, 30er - unter besonderer Berücksichtigung der Damenwelt - und mit anderen Vorzeichen in den 50er, 60er und 70er Jahren auf. Der klassenlose Wagen für die Arbeiterschaft und den kleinen Mann hebt in den USA mit Ford an und wird in Europa vom Faschismus zum Objekt der Propaganda gemacht. Zeitgleich mit der "Umweltverträglichkeit" erfährt auch der Sicherheitsgedanke ein nachdrückliches Come back. Angetrieben von der marketing-olympischen Devise "neu und besser" werden die Standards all dieser Argumente mit immer größeren Umdrehungszahlen wiederholt.
Das "Rätsel der Technik", die Akzidens, wird an dieser Stelle als konstitutives Paradox einer Kultur der Technik deutlich. Auffallend ist an der Werbung nicht nur die metonymische Setzung einer technischen Leistung als Symbol für kulturelle Werte - Geschwindigkeit und Freiheit - sondern auch die gleichzeitige Engführung von Technik und Sicherheit. Die Maschine, deren Technik Höchstleistungen der Transportgeschwindigkeit ermöglicht - Sportlichkeit und Komfort - wird nicht umhin können, auch ein raffiniertes Arsenal an Sicherheitstechniken zu versprechen. Technik steht folglich für beides ein, für Gefährdung und Kontrolle, für die Produktion von Unfällen und die Profilaxe des "für den Fall daß" (VW 1993).
Schrott als Verkaufsförderung
Vgl. Der Spiegel 51/1993.
Längst aber ist der unernste Ernstfall des Crash Tests in Werbung und PR eingezogen. Um zu demonstrieren, wie realistisch aktive und passive Sicherheit ausgelegt sind, bilden Anzeigenmotive mittlerweile einfach als Marke und Type erkennbaren Schrott ab. Schlechte Crash-Ergebnisse nämlich lassen Verkaufszahlen rapide sinken, wie das Beispiel des Ford Sierra belegt. Nicht umsonst sollte das Nachfolger-Modell Mondeo neue Standards festlegen. Vorerst letzte Episode dieser Entwicklung: zur Neueinführung des Renault Laguna wurde vor den Augen der geladenen Gäste ein Frontal-Crash zweier fabrikneuer Autos geboten.
Einzigartig: "Töten wir eine gewisse Verherrlichung des Todes." Porsche. Mit der Fokussierung der aktiven und passiven Sicherheit tritt auch der Unfall als Urszene der Automobilwerbung hervor. "Wir werden alles getan haben, um Sie im Ernstfall vor ernsten Folgen zu bewahren", verspricht mit einer Imitation des Futur antérieur der gute Stern auf allen Straßen. Fortsetzung ist gewiß, denn "fast 3.000 vor Ort untersuchte Unfälle haben uns auch gezeigt, daß manche Gefahrenquellen selbst in unseren umfangreichen Tests nicht erkannt werden können" (Mercedes-Benz, 1993). Doch vom vollelektronischen "Motormanagement" (Audi, Opel, 1993), der "aktiven Fahrsicherheit" (Audi, 1993) und der drastisch erhöhten "Lenkpräzision und Fahrstabilität" (Honda, 1993) unberührt bleibt: "daß menschliches Versagen nach wie vor die Unfallursache Nummer eins ist" (BMW, 1993).
Dafür wird den Menschen auch etwas geboten. Denn es gibt Autos, die "innere Werte" verkörpern (Nissan, 1993), die für "bewußten Wertewandel" (Lexus, 1993) einstehen und als "gute Nachricht für Individualisten" (Saab, 1993) auffahren und dabei zeitgeistiges "Understatement" erlauben (Saab, Lexus, 1993). Andere wiederum sind angetreten, um mit einem "immensen Leistungspotential" (Honda, 1993) und "sportlicher Kraft" (Jeep, 1993) "Freiheit" zu "erobern" und zu "schützen" (Nissan, 1993).
Wie traditionsbewußt die Versprechungen von Individualität und Freiheit in der Werbung eingesetzt werden, verrät eine Anzeige von Mercedes-Benz aus dem Jahr 1994. Nachdem Opel im Vorjahr die Sicherheit seines Vectras dadurch visualisieren wollte, daß das Auto quasi auf Schienen vorfuhr, setzte Mercedes im Namen der neuen C-Klasse ganz auf das alte Vorurteil gegenüber der Eisenbahn: "Andere fahren wie auf Schienen. Er fährt, wohin Sie wollen." Bierbaums freiheitsberaubender Kollektivismus der Eisenbahn lebt in solchen Headlines fort.
"Wenn eine Automobilfirma sich auf Sicherheit beruft [...], ohne den Tonfall, die Absichten zu ändern, so zeigt das, daß die Sicherheit nur eine Frage des Austauschs von Wörtern ist."

Jean Baudrillard: Der Tod tanzt aus der Reihe. Berlin 1979, S.135f.


R. J. F. Kieselbach: Vopm Torpedo Phaeton zur Ganzstahl Limousine, S.286.
Mitunter also neue Worte, doch die Geschichte ist alt. Werbung als Instrument der Marken- und Produktdifferenzierung begleitet unsere automobile Evolution von Beginn an. Ende der 20er Jahre, als der erste Durchlauf symbolischer Sinnstiftung und zielgruppenspezifischer Nutzenargumentation absolviert ist, findet die Einbindung des Marketing in die Geschwindigkeitsfabrik statt.
Fords 1 Million Dollar für die Anzeigenbegleitung einer Neueinführung ist nur eine markante Zahl. Die Trias von Konsumgüterindustrie, Werbung und Auto benennt drei Akteure, die maßgeblich die sogenannte kulturelle Entwicklung der Industriegesellschaften prägt. Was aus dieser Konfiguration erwächst, ist eine Traumfabrik, die als Instanz der Sinnstiftung mit Hollywood konkurrieren kann. Wahrnehmungsraster von und für automobile Wirklichkeiten werden entwickelt, die bis in die Straßenverkehrsordnungen und Flächenbebauungspläne hineinreichen. Nüchtern formuliert: Sloans Marketingpolitik leitet "einen Trend zu Verkaufspraktiken, Werbe- und Vertriebsmethoden ein, die zum Vorbild der internationalen Autoindustrie wurden."
Das aber ist die Geburtsstunde der 'neu und besser' Konditionierung ganzer Konsumentengenerationen, die Initiation der Sinnstiftung unter automobilen Vorzeichen. Bereits Bierbaums Reise von 1903 wird von einer Zeitung und den Adler-Werken gesponsert. Ein Werbeinstrument, dem auch Clärenore Stinnes auf der Weltrundfahrt von 1927 bis 1929 ihren Gefährten verdankt. Eine andere Facette solcher PR stellt Brechts Einsatz als Auto-Dichter dar.
Henry Ford: Mein Leben und Werk, S.57 ff. Bis in die 40er Jahre hinein bleibt aber der Rennsport das werbeträchtige Vehikel für die kleine Welt der großen Käuferschichten. Auch Hitlers Förderung des deutschen Rennsports findet darin seine Begründung. Bis heute werden die Legenden über den Silberpfeil oder die Autounion, die Erfolge von Rosemeyer, Stuck oder Caracciola gerne reportiert. Nirgends sonst ist das Cluster technischer und symbolischer Argumente sichtbarer als beim Rennsport.
An der Traumfabrik des Rennsports führt kein Weg vorbei, selbst wenn man nur kleine Gebrauchswagen verkaufen will. Auch diese Geschichte weiß Henry Ford am besten zu erzählen.

"Ich persönlich hielt nie viel von diesem Renngedanken, aber die Fabrikanten klammerten sich nun einmal an das Vorbild der Radrennfahrer und glaubten, ein Rennsieg mache das Publikum auf die Güte des Wagens aufmerksam - obgleich ich persönlich mir keine unzuverlässigere Probe vorstellen kann."

Dennoch konstruiert Ford Rennwagen, die "999er".

"Der Lärm, den sie machten, genügte schon, um einen Menschen halb umzubringen. Nur ein Sitz war vorhanden. Ein Menschenleben genügte."

Um das "Ungeheuer" oder eben das "schnellste moderne Rennauto" zu lenken, wird ein Radrennfahrer engagiert, der "nicht wußte, was Furcht war." Fords Monster geht schließlich mit einer halben Meile Vorsprung über die Ziellinie:

"Eine Woche nach dem Rennen wurde die Ford-Automobil-Gesellschaft gegründet."

Erst nach dem Rennerfolg beginnt für Ford "das eigentliche Geschäft".

"Sicherheit im Automobilrennsport" wird erst mit Michael Hendersons Untersuchung der 221 Unfälle der Autorennen 1967 in England zum Thema. Der Mediziner Henderson untersucht nüchtern die "menschlichen Faktoren" als physiologische Grenzen von Hirn, Muskulatur und Wahrnehmung. Siehe Henderson: Sicherheit im Automobilrennsport. Lausanne 1970.

Doch die Geschwindigkeit der Rennwagen ist auch Autos für den Alltagsgebrauch eigen. Einem frühen Werbetext der Ford Company sind Wunsch und Suggestion, Traum und Trauma zu entnehmen: "Sie sind auch Herr über die Geschwindigkeit. Sie können - wenn Sie wollen - langsam durch schattige Alleen gleiten oder Sie können den Hebel zu Ihren Füßen herunterdrücken, bis die ganze Landschaft um Sie herum verschwimmt und Sie die Augen aufreißen müssen, um die Meilensteine am Weg zu zählen."
Werbetexte und Bildunterschriften repräsentieren zwei Funktionen, die das Auto unserer Kultur einschreibt: Es ist Wahrnehmungs-maschine und Geschwindigkeitsmaschine in einem. Gemeinsamkeit und Möglichkeitsbedingung beider Funktionen ist die Technik und daß diese Kopplungen übersehen werden, begründet ihr eigentliches "Rätsel". Gleich aber, ob Individualität und Freiheit versprochen werden oder Sicherheit trotz Unfall, allein die Technik macht's möglich.

Zum nächsten Kapitel

© Matthias Bickenbach, Michael Stolzke, Bonn 1996