Rekonstruktion eines Auto-Unfalls des Dichters Brecht. I. Ein Brecht entgegenkommendes |
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Mit Aufnahmen für den Uhu" von A. Stöcker |
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Der Feind des
Automobilisten, des Fußgängers, überhaupt des Verkehrs, ist der
wilde Fahrer. Der wilde Fahrer ist fast an allen Verkehrsunfällen schuld,
sei es, daß er nur ein Motorrad lenkt, einen Hanomag, einen Opel oder
einen Mercedes. Das wohlerzogenste Land auf dem Gebiete des Automobilverkehrs
ist wohl England. Ueberholen von Wagen findet dort meistens nur mit Erlaubnis
des vorausfahrenden Wagens statt. Dafür macht aber in England der
vorausfahrende Wagen von selber Platz, um dem hinterherfolgenden schnelleren
Wagen das Ueberholen nach Möglichkeit zu erleichtern. In England hat man
auch den Boulevard-Stop, nicht nur für die Städte, sondern auch für
die Landstraßen. Der Boulevard-Stop verhindert von vorneherein 50 Prozent
aller Unfälle. Niemand wird in England wagen, aus einer Seitenchaussee auf
die Hauptlandstraße einzubiegen, ohne vorher zu stoppen und sich von der
Ungefährlichkeit des Einbiegens zu überzeugen. Dafür hat jeder
auf der Hauptstraße die Erlaubnis, schnell fahren zu können. Die
typische Redensart des wilden Fahrers ist: Ich habe meinen Wagen in der
Hand." Er vergißt nur jedesmal dabei, daß der andere ihm
Entgegenkommende seinen Wagen genauso sicher in der Hand haben muß.
Der Dichter Brecht hatte kürzlich einen für viele Auto-Unfälle typischen Unfall. Er steuerte seinen Steyr auf der Straße nach Fulda im 70-Kilometer-Tempo. Die Straße war gar nicht so schmal, aber auf seiner Seite schoß hinter einem entgegenkommenden Lastwagen ein Wagen, der viel stärker war als der seine, überholend vor, ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß ein anderer Wagen (Brechts Wagen) ihm entgegenkam. Für Brecht war die Lage außerordentlich gefährlich; nach links konnte er wegen des Lastwagens, der sich auch in ziemlicher Fahrt befand, nicht ausweichen, rechts standen Bäume, und hinter diesen Bäumen fiel die Straße ungefähr 5 Meter in einer Böschung ab. Brecht hatte zwei Möglichkeiten; einmal, die Böschung hinabzufahren und sich im offenen Auto mehrmals zu überschlagen oder im 70-km-Tempo gegen einen Baum zu fahren und zu zersplittern. |
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III. In dieser Position befanden sich die Wagen wenige Sekunden vor der Katastrophe. Der Wagen3732, der so unvorsichtig überholt hatte,......hatte zum Einbiegen nicht mehr Platz und mußte im nächsten Augenblick in Brechts Wagen (26 225) hineinfahren. |
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IV. Wie Brecht sich zu helfen wußte: Rechts von Brecht befand sich ein sehr tiefer Straßenabhang. Brecht riß den Wagen stark nach rechts und steuerte ihn bewußt, um nicht den Abhang herabzustürzen, genau (siehe Bild V) mit der Mitte des Kühlers auf den nächst erreichbaren Baum zu. Wagen und Motor gingen in Trümmer; die Insassen blieben bis auf geringe Abschürfungen unverletzt. (Die Rekonstruktion des Unfalls erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Steyr A.-G.) |
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V. Der Abhang, vor dem sich Brecht durch das zielsichere Auffahren auf den Baum rettete. |
VI. Brecht's Wagen nach dem Unglück. Der zertrümmerte Wagen zeigt, wie richtig Brecht gehandelt hatte, den Wagen an dem Baum aufzufangen. |
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Der Abstand zwischen dem entgegenkommenden und seinem Wagen bei einer Geschwindigkeit von 70 km, war sehr gering. Brechts Wagen war also gezwungen, auszuweichen, und Brecht vermochte, die Bremsen mehrmals stark anziehend und wieder öffenend, auf dem ihm zunächst erreichbaren Baum aufzufahren. Es gelang ihm, genau mit der Mitte des Kühlers den Baum zu treffen und so den Wagen aufzufangen. Der Kühler zerbrach, und die aufstoßende Vorderseite des Chassis bog sich ringförmig um den Baum, aber sie hielt den Wagen auch zugleich fest. Das Ergebnis waren nur unbedeutende Verletzungen. | ||
Wie die beiden Wagen ausgesehen hätten,
wenn sie aufeinander gefahren wären: Aus: Uhu. Das Monatsmagazin. Berlin 1929, S. 62-65. |
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